Damals, als man Degen trug Zur Neuinszenierung des Schauspiels Osnabrück, "Prinz Friedrich von Homburg" (1957)

Es darf vorausgesetzt werden, daß der Inhalt bekannt ist. Die Schule hat uns in ihrer guten Absicht, das Vaterland zu glorifizieren, weder den Prinzen von Homburg noch den Stallmeister Froben oder gar den lateinischen Blödsinn vorenthalten, daß es süß und ehrenvoll sei, für das Vaterland zu sterben. Für Heinrich von Kleist war das "Vaterland ein Heiligtum", die Offiziere hatten "Ehre im Leibe", und der Krieg wurde nach "heiligen Gesetzen" geführt. Damals trug man Degen, man kannte keine automatischen Waffen und Düsenbomber. Inzwischen ist das anders geworden.
Der Tod für das von Diktatoren mißbrauchte Vaterland ist gar nicht mehr so süß, wie es im Lesebuch gestanden hat, und wenn das Programmheft uns einreden will, Kleists vaterländisch-historisches Schauspiel entspräche unserem heutigen Lebensbewußtsein, so trifft das zumindest nicht für jene zu, von denen nur die auf karge Rente gesetzte Witwe übriggeblieben ist.
Unserem heutigen Lebensbewußtsein entspricht, was der junge Schweizer Dramatiker Max Frisch vor einigen Tagen so freimütig geäußert hat: "Vaterland? Das ist für mich etwas, das beim Zeughaus anfängt und auf dem Soldatenfriedhof endet." Und das ist die Wahrheit ohne Lorbeerkranz. Die Mystifizierung des Heldentums stimmt nicht mehr.
Diese Korrektur (am Programmheft) ändert nichts an dem Umstand, daß "Prinz Friedrich von Homburg" zu den schönsten und reifsten dramatischen Schöpfungen unserer deutschen Sprache rechnet. Es ist ein umstrittenes Werk, das so gut die Kritik der Helden als auch den Widerspruch der Nicht-Helden herausgefordert hat. Ein unerschöpfliches Thema. Lassen wir's.
Die Neuinszenierung durch Intendant Günter Meincke zeichnete sich durch Niveau und kluge Reserviertheit aus. Das stimulierende Schlachtgetös (Heißa, sie fliehen schon ...) begnügte sich mit diskreten Böllerchen. Der schreckliche Trampelgruß, der bei Fehrbellin noch üblich war, fehlte ganz. Es wurden weniger Degen gezückt und weniger Soldaten postiert. Es wurde nicht gar so schlimm geschossen und nicht gar so eifrig Hurra gebrüllt. Dafür war die Morgenröte vor der Schlacht, vogelrufdurchzwitschert, wirklich poesievoll, und die rabautzenden Haudegen auf dem Feldherrnhügel taten sich harmlos menschlich. Das Bühnenbild (Robert Stahl) begünstigte den Eindruck einer gepflegten und ganz auf das Literarische bedachten Regie durch den altmeisterlichen Goldton von Gemälden, auf denen Dragoner frischrasiert und vollzählig zur Siegesparade anreiten. Und im Hintergrund tönt brandenburgische Marschmusik ...
Die Titelrolle spielte Heinz Filges. Ein neues Gesicht, etwas von Gerard Philippe darin, sympathisch, temperamentgeladen, jung. Sein Homburg war tatsächlich ein Phantast, ein Träumer, ein Märchenprinz vom Rhein und aus Hessen, wo man lustiger lebt als in Preußen und lieber auf den roten Mund von Prinzessinnen schaut als auf den knarrenden Kiefer eines Feldmarschalls. Das war gekonnt. Filges fand die rechten Herztöne, um Begeisterung und Überschwang, Verzweiflung und Todesfurcht, Beherrschung und Überzeugung auszudrücken.
Ganz auf Staatsautorität und überlegen-väterliches Herrschertum gestimmt war Heinrich Wilbert als Kurfürst von Brandenburg, eine abgerundete und imponierende Leistung. Anne-Liese Johow zeigte als Kurfürstin eine verhalten reife Fraulichkeit, der die Weisheit, Güte und Allmenschlichkeit einer Landesmutter geradezu ideal beigemischt waren. Anmut, Seelenadel und jungmädchenhafte Verliebtheit erfreuten im Spiel der Christine Weydemann, die als Prinzessin Natalie der kriegerischen Turbulenz ihrer Umgebung ephebenhafte Weiblichkeit entgegensetzte.
Erwin Dorow war ein polternder, grobknochiger Feldmarschall, ein bißchen Fridericus Rex mit Krückstock und Rheumahüfte. Vom selben ledernen und treuherzig-biederen Schulbuchformat war auch Herbert Mandel als Obrist Kottwitz. Victor Tacik gab dem Grafen Hohenzollern, dem Freund des Prinzen von Homburg, das Profil eines echten Lebensgefährten. Zur Schar der nach Feldbett und Pulverdampf riechenden Reiterhelden gehörten auch Toni Schneider, Hannes Zaddach, Arthur Binder zur Heyde, Siegfried Junghanss, Günther Thiele, Gerhard Kauffmann, Folkrad Dietl und Otto Tönges.
Offiziere, Hofdamen, Hofherren, Pagen und Soldaten belebten stets die Bretter, auf denen sich das Schicksal eines heißspornigen Jünglings im Generalsrang darstellte, der, weil er verliebt war, einen militärischen Befehl übersah und dafür zum Tode verurteilt wurde. Heilig, heilig ist das Gesetz des Krieges, sagte der Düsenpilot und warf ein Atombömbchen ab...
Das Premierenpublikum war nachdenklich, aber es versagte der schauspielerischen und regielichen Intensität der Aufführung nicht den verdienten Applaus.