Monat voller Verzauberung

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Der Dezember ist ein Monat voller Verzauberung und Einsamkeit. Der Sturm heult nachts in den Wäldern. Der Holzwurm tickt in dem alten Bett. Eine Uhr springt mit silbernem Klang in die Stille.

Ah einer Krippe basteln und im Lexikon nachschlagen, wie ein Komet aussieht. Auf dem Tisch liegen Blumendraht und Zigarrenkistenbretter. Der Leimtopf schmatzt auf der Herdplatte.

Es soll ein Stall werden mit einem Fachwerkgiebel, Ein Storchennest muß auf dem Schornstein sein wie auf den Bauernhäusern im Artland. Vielleicht wäre es gut, jemanden zu fragen, der darüber Bescheid weiß, ob sie in Bethlehem Störche kennen.

Denken, daß es früher Wölfe gegeben hat, und daß an den Schlitten Sensen befestigt waren, die eisgrauen Hunde zu zerfetzen, diese Teufel in der Schneewüste.

In den Wohnräumen alter Häuser können Bilder hängen, auf denen dargestellt ist, wie hechelnde Wölfe einen Schlitten verfolgen. Die Menschen sind dick in Pelze vermummt, so daß man ihre Gesichter nicht erkennen kann, aber ganz sicher ist es ein junges und schönes Liebespaar, das von einem Fest zurückkehrt.

Der Kutscher schlägt wie besessen auf die Pferde ein, an denen schon die Wölfe reißen. Es sind kleine struppige Pferde, die unter einem Holzbügel laufen. In Sibirien gibt es solche Korbschlitten und solche Gespanne. In den Wäldern um Krasnojars ist jetzt der Wolf los...

Wissen, daß man daheim ist. Einen Apfel auf die Ofenplatte legen und Nüsse aufbrechen. Den Duft einer Orange einatmen. Eine Kerze anzünden.Wunschzettel schreiben und auf die Fensterbank legen. Wintermantel. Hut. Teppich. Tonabnehmer. Gesund bleiben.Neue Wohnung. Auto. Skiausrüstung.Oberhemden. Brokatläufer. Globus. Taschentücher.

Durch alle Wünsche einen Strich machen und nur „gesund bleiben" stehen lassen. Ich will gar kein Auto haben.

In die Dunkelheit hinausgehen und dem Nachbarn erzählen, daß es schneien wird. Der Nachbar hat im Dorf sagen hören, daß die Eier teurer werden.

Vor dem Ofen knien und Feuer anmachen. Die erstarrten Hände an die grünen Kacheln halten. Das Holz fängt zu prasseln an. Eine Rumflasche entkorken und den kupfernen Wasserkessel auf die Flamme setzen. Das Kalenderblatt zeigt in dieser Woche eine Schneelandschaft, in der ein Rabe auf einem Ast sitzt und der Himmel rubinrot in die Nacht tropft.

Brotkrumen auf die Türschwelle streuen. Einer Rauchfahne nachblicken, die vom Wind wie ein Tuch gedreht wird. Mit Tannenreisig zu tun haben und mit hölzernen Engeln, die vergoldete Flügel besitzen.

In die Kerze starren und mit der Flamme ein Gespräch beginnen: Ich liebe dich, holdes Weihnachtslicht.

Orgelklang und Christmettlied. Auf dem Heimweg Schneeflocken auf der Zunge zergehen lassen. Erwartungsvoll sein wie ein Knabe, der durchs Schlüsselloch eine Eisenbahn erspäht hat. Einem fremden Kind eine Puppe schenken.

Lächelnd im Notizbuch blättern und eine Eintragung finden: „Mit Simone Wein getrunken und über ihre Liebe zu J. gesprochen." Ach, es ist spät geworden. Draußen kommt der Frost über die Gärten. Ein Stiefel knirscht durch den blauen Schnee.

Beim Erwachen morgens sind Eisblumen am Fenster.

Erschienen am 7.12.1954