Über die Wonnen eines Urlaubs in Oberbayern

Wo die Welt nach Heu duftet

Wir wissen, dass die Bayern die Preußen nicht mögen. Aus grauer Vor­zeit wuchern in Bayern im­mer noch Erinnerungen an anmaßende Überheblichkeit und schnarrenden Befehl­ston. Kein Bitteschön und kein Dankeschön. Umge­kehrt ist das Verhältnis völlig anders.
Wir Preußen schätzen die Bayern. Wir finden das Knor­zige an ihnen besonders lie­benswert. Weil dem so ist, gibt es in norddeutschen Landen Gaststätten mit Namen wie Zillertal, Bräustüberl und Alm­hütte. Dort trinken wir bayeri­sches Bier, essen Knödel mit Sauerkraut und tauschen Erin­nerungen an das vorjährige Ok­toberfest aus.
Wenn der Urlaub naht, bu­chen wir Norddeutschen Ober­bayerisches. Busfahrten sind gefragt. Die Kraxler kommen zu Hunderten, und die Buam spie­len ihnen einen Ländler zum Empfang. Die Mädchen in ihren bunten Trachten lächeln. Der Vorsteher vom Verkehrsverein hält eine Ansprache, die mit den Worten beginnt: „Meine lie­ben norddeutschen Freunde". Das klingt fast so gut wie das Anstoßen mit einem Glaserl Enzian. Ein Preuße ist eben nur, wer sich „preußisch" be­nimmt.
Jedes Haus bekommt seine Gäste. Die Vermieter stehen mit dem Handkarren am Bus und laden die Koffer auf. Eine halbe Stunde später hocken sie miteinander im Herrgottswin­kel, und es geht nur noch bajuwarisch zu. Durchs Fenster weht der Heugeruch ins Zim­mer.
Das ganze Dorf duftet nach Heu. Es ist ein würziger Ge­ruch, nach dem man sich den Winter hindurch gesehnt hat. Wer diesen Duft einatmet, weiß sofort, dass er angekommen ist. Oberbayern ist ein Garten Eden für Menschen und Kühe. Nirgendwo ist die Welt so grün wie hier. Wer sich abends schlafen legt, den begleitet von den Almen herab das süße Geläut der Kuhglocken.

 

Urlaub in Oberbayern

Bunt und bayerisch romantisch: Bad Tölz, Kreisstädtchen, Heilbad und heilklimatischer Kurort in Oberbayern.
Man hat sich vorgenommen, bis zum Mittagessen zu schla­fen, aber daraus wird nichts. Denn es gibt nichts Beglücken-deres, als auf einem bayeri­schen Balkon zu frühstücken. Für die nackten Sohlen ist das von der Morgensonne er­wärmte Holz eine Wohltat, und die Milch schmeckt hier irgend­wie auch besser.

Garten Eden für Menschen und Kühe

Kein Lärm stört. Gelegent­lich gackert ein Huhn, eine Sense wird gedengelt und ein Nagel wird eingeschlagen. Keine Straßenbahn rattert, und kein Auto quält sich hupend durchs Gewühl. Der Urlauber nimmt sich die Karte vor und studiert das Angebot an Ber­gen, Seen, Dörfern, Kirchen, Schlössern, Burgen und Klö­stern. Auf der Straße fährt eine von zwei Pferden bespannte Hochzeitskutsche vorbei. Die Braut winkt zum Balkon hinauf einen Gruß.
Der Urlauber fühlt sich wohl. So hat er es sich gewünscht. Er schließt die Augen und schlürft Sonne, Heuduft, Holzgeruch, Bachgeriesel, Vogelstimmen und die Düfte aus der Küche in sich hinein. Auf der Speisekarte stehen gefüllte Kalbsbrust und Kartoffelknödel, und abends gibt es Kirchweihganserl und Zwetschgendatschi.
Vom Kirchturm schlägt es zehn. Er hat Urlaub. Er ist in Oberbayern. Im Land der schneebedeckten Bergriesen und grüngischenden Wasser­fälle. Im Reich der Fischräuber und der Wilddiebe, die hier nicht nur als Romanhelden ge­handelt werden.
Der Weg zu den Bauernhö­fen führt durch Wiesen, auf de­nen Heu heranwächst. Vor den Muttergottesstatuen stehen in Einmachgläsern Margeriten und Buschwindröschen. Es ist ein Land voll unberührter Schönheit. Voll wurmstichig hölzerner Heiliger. Voll zer­schlissener Schützenfahnen in den Kirchen. Voll gebleichter Hirschgeweihe in den Gaststu­ben. Voll eselohriger Gebet­bücher und geweihter Kerzen in den Schlafzimmern. Voll Palmkraut gegen Blitzstrahl und Hagelschlag in den Amts­räumen. Es ist aber auch ein Land voll irdischer Fröhlichkeit und derber Esslust. - msland (eb)

Aus: ON, 28 Juni 2000