Der verratene Liebhaber

Wir hatten in der vergangenen Woche in unserer Straße diese Geschichte mit Herrn Kruse und Herrn Knecht, über die viel und gern gelacht wurde. Man weiß ja, dass Schadenfreude die reinste Freude ist und dass niemand verwundbarer ist als jener, der nun wirklich gar keinen Humor besitzt. Und Herr Knecht ist ziemlich spröde, ein Mann mit ernster Lebensauffassung, indes wir Herrn Kruse eine gewisse Verschmitztheit nachsehen wollen.
Also. Beide Herren waren frühzeitig Witwer geworden und ver­zehrten in körperlicher und seelischer Frische ihre Ersparnisse, was schon recht ungewöhnlich ist; denn im allgemeinen halten sich die Damen an das Aufzehren des Vermögens. Eine Dame ist übrigens auch im Spiel, und was für eine Dame. Die unvermählte Angelika Pütz, eine gut anzuschauende Weibsper­son Ende der Vierzig. Diese gut anzuschauende Weibsperson war Herrn Knecht ein Dorn im Herzen. Er liebte die Dame sehr, war jedoch nicht kühn genug, sich um ihre Gunst zu bemühen. Man sagte der schönen Frau Angelika nach, dass sie aus Verehr­ung für ihren im Kriege gefallenen Verlobten ledig geblieben sei. Nie sei jemand gekommen, der sich als edel und vortrefflich ge­nug gezeigt habe, seine Stelle einzunehmen.
Frau Angelika wandelte stolz und einsam dahin, von jedermann geachtet und von niemandem gefürchtet. Aber nun wurde sie von Herrn Knecht geliebt, einem Herrn "in gutsituierten Verhältnis­sen", der selbstbewusst und eitel war, zugegeben sogar ein Prahl­hans, jedoch niemals der forscheste oder gar kühnste aller Witwer in unserer Straße, die Eichendorfstraße heißt und Hausnum­mern von 1 bis 348 zählt.
Da war Herr Kruse anders. Er liebte überhaupt nicht, weder die Heldenverehrende Angelika noch irgendeine andere. Ihm hatte es aus diesem oder jenen Grunde gereicht. Er war auch nicht eitel, eher schon ein Schlodderkaspar, und er prahlte gelegentlich höch­stens seine selbstverfertigten Zigarren. Herr Kruse war in der Tabakindustrie tätig gewesen, als Unternehmer. Die Herren waren miteinander "befreundet von Kindesbeinen an. Man traf sich des Morgens zum Spaziergang, und das bei Wind und Wetter. Man aß gemeinsam, schlenderte Seite an Seite durchs Warenhaus, um hier einen Pfeifenreiniger und dort einen Blei­stift einzukaufen, wovon kein Warenhausbesitzer reich wird, und vertraute einander so geringfügige Geheimnisse an wie jenes, dass Herr Knecht sich verliebt hatte.
"In deinem Alter?"
"Jawohl", antwortete Herr Knecht mit Nachdruck. "Darf ich Dich um einen Gefallen bitten, Heinrich? Ich habe einen Brief geschrie­ben. Ich will ihn nicht der Post übergeben. Sei Du mein reiten­der Bote" ­ er lächelte ­ "das macht einen besseren Eindruck als ein Poststempel."
"Gemacht", sagte Herr Kruse und steckte den kunstvoll versie­gelten Brief in die Tasche. Er hatte den Freund immer schon im Verdacht gehabt, altmodisch zu sein, jedenfalls im Umgang mit Frauen.
Herr Kruse mit der ewig brennenden Zigarre gab den Brief an Frau Angelikas Türe ab, Eichendorf Straße 251 dritte Etage rechts, wartete nicht auf Antwort, nahm auch für Herrn Knecht nichts Schriftliches in Empfang, weiter nichts als schönen Dank und gro­ße Ehre und schönes Wetter heute, und forderte, nachdem er Ange­lika gesehen hatte, den Freund ermunternd auf, im Schreiben nicht nachzulassen und an Siegellack nicht zu sparen, auf ihn als rei­tenden Boten sei Verlass. "Steck dir eine Zigarre an", sagte er.
Aber Herr Knecht steckte sich keine Zigarre an. Er wurde un­ruhig. Herr Knecht überdachte die Summe seiner Briefe, die schlicht gesagt Liebesbriefe waren und darauf hinstrebten, jene Angelika Pütz zu ehelichen unter dem Motto: Geteiltes Alter ist halbes Al­ter. Es war ein Schlagwort. Herr Knecht beschloss zu handeln. Er ginghin ... Plötzlich packte ihn der Mut. Oder ahnte er bereits?
Es heißt, dass er nicht ganz bis zum Haus jener Dame gekommen sei. Unterwegs begegnete ihm an die Post, die Bundespost, ihr uniformierter Bote, und übergab Herrn Knecht eine Drucksache. Da­rin hieß es, dass Heinrich Kruse und Angelika Kruse geborene Pütz sich die Ehre geben, ihre Vermählung anzuzeigen. Der von seinem Freund verratene und um eine gut anzuschauende Weibsperson Ende der Vierzig geprellte Herr Knecht litt sehr un­ter seiner Niederlage. Er schickte auch keinen Glückwunsch und war alles in allem wohl doch ein wenig altmodisch mit seinem Siegellack und dem reitenden Boten. Leider ist es so, dass die Leute schlecht sind und an sol­chen Dingen ihren Spaß haben, besonders die Leute in unserer Straße.

Erzählung von Bernhard Schulz
7. Dez.1963