Pfingstorgel

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Pfingsten, das ist Jasmingeruch und Heuduft. Das sind frühsommerliche Tage mit heißen Mittagsstun­den und prasselnden Nachtgewittern. Pfingsten, das bedeutet knirschenden Gartenkies und plätschernden Gießkannenstrahl.

Pfingsten ist Mai und Juni und Frühling und Som­mer und alles miteinander. Pfingsten, das ist etwas Besonderes im Kalender. Pfingsten ist wie eine Orgel.

So fängt es an: Ein Mann zieht mit seinem Leier­kasten von Dorf zu Dorf und dudelt alte Melodien. Es sind Lieder, die wir längst vergessen haben und die uns nur deshalb so seltsam berühren, weil sie unver­hofft von draußen hereinwehen.

Am Abend werden die Mädchen nicht aufhören wol­len mit Singen, wenn sie eingehakt durch die Felder wandern. Die Musik dieser Tage ist unvergesslich. Hört den lustigen Peitschenknall, hört die klirrenden Hufe der Pferde auf dem Dorfpflaster und das Knir­schen der Räder im Sand des Sommerweges! Die Kut­schen sind mit Birkenreisig geschmückt.

Zu Pfingsten gehört auch das Lied der Vögel in der Sonntagsfrühe, der starke Ton der Glocken, die zur Messe rufen. Hört die sirrenden Mücken über dem Fluss, den klatschenden Flug der Tauben, das Geknarr der Türen, den schlurfenden Schritt der Bäuerin auf der mittagsstillen Diele. Bald werden die Kirchgänger zurückkehren. Der Braten brutzelt auf dem Herd. Musik macht auch die Gabel, mit der die Magd den Schnee für die Biersuppe schlägt.

Hört die grapschenden Zungen der Kühe, hört den schwappenden Laut der Milchkannen, das Surren der Zentrifuge, den Ruf der Spottdrossel im Garten, das Gackern der Hühner, den rostigen Schrei der Garten­pforte, das Schnurren der Katze auf der Fensterbank. Hört das Geflüster der Liebenden ...

Lauscht dem Gesumm der Bienen in den Rhododendronbüschen. Lauscht, dem Hummelflug, den Forellen­sprüngen im Bach, demSchilpen der Spatzen in  der Dachrinne, dem Geläut der Fahrradklingel, dem stil­len Weinen eines Kindes. Ein Habicht schreit über dem Hof. Am Horizont rumpelt ein Gewitter.

Vergesst nicht, der lärmenden Geschäftigkeit der Wes­pen zu lauschen, die das Zuckerzeug in den Kirmes­buden bedrängen. Hell peitschen die Kugeln der Schüt­zenbrüder nach dem Holzadler. Das Durchladen der Gewehre, die pfeifenden Querschläger, das Aufklat­schen der Bierflaschenverschlüsse, die Blasmusik im Zelt, die Stimmen der Damen, die sich in der Garde­robe schön machen — wie das tönt in der Stille des Pfingstsonntags!

Überhört nicht das Gluckern der Quellen und Mur­meln der Bäche im Wald, den Ruf des Kuckucks, das Gekecker der Eichkatzen, das Gurren der Wildtauben, die rauschenden Föhrenwipfel, den Schrei der Eichel­häher im Obstgarten, den Schritt des Spaziergängers durch knietiefes Gras. Überhört auch nicht die Stimme der Magd, die in ihrer Kammer von Liebe singt.

Ach, der Sturz des Wassers aus dem Mühlenteich über ein ruhendes Schaufelrad, der Fall eines Regen­tropfens in pludrigen Staub, bevor das Gewitter los­bricht.

Dies alles ist Musik. Musik der Pfingsttage auf dem Lande, Musik des Sommers, Musik der Liebe. Wer darauf acht hat, wird sich mit Lächeln füllen wie eine Frucht mit Reife.

Neue Tagespost 1961