Gänse ganz in Gänsefüßchen

Bernhard Schulz

Das Verhältnis, das die Menschen zu den Jansen unterhalten, ist recht erfreulich, jedenfalls soweit es die fleischverzehrende Menschheit betrifft. Den Gänsen ist die Menschheit, die vegetarische so gut wie die nicht vegetarische, gleichgültig. Sie watscheln morgens in dem ihrer Gattung aufgezwungenen Gänsemarsch zur grünen Wiese hinaus, schnattern unvernünftig, machen sich über hüpfende Frösche lustig und sehen zu, daß sie dick und fett werden.

In dem Augenblick, in dem sie begreifen, daß es unerfreulich wird, hängen sie bereits mit dem Schnabel nach unten, bluten ein wenig und sind nicht mehr von dieser Welt.. Das ist das Schicksal der Gänse. Sie hängen im Geflügelgeschäft gerupft und ausgenommen an einer eisernen Stange. Pfundweise wird das, was sie sich angefressen haben, verkauft.

Es gibt natürlich auch Gänse, die ganz in den Topf kommen. Die Industrie, die sich mit der Herstellung von Haushaltsgerät befaßt, hat für Gänse Spezial-Bratentöpfe und außerdem auch Geflügelscheren erfunden. Eine Gans zu zerlegen, ist ein Vorgang ähnlich dem, der Familienvätern beim Auseinandernehmen eines Kleiderschrankes den dicken Hammer in die schaffende Faust zwingt.

Männer, denen die knusprige Gans auf dem Teppich oder an die Stubendecke springt, haben ihren Beruf verfehlt. Sie sind nicht würdig, Männer zu sein. Nur Hausfrauen dürfen für die Handhabung der Geflügelschere ungeeignet sein. Das ist eine unverbriefte Abmachung aus der Frühzeit des Gänsekleins.

Die Gänse haben ihre besten Tage, wenn gerade nicht Weihnachten ist. Die Angewohnheit der Menschenkinder, zu Weihnachten ihren Appetit auf volle Tourenzahl aufzudrehen, ist das grausige Ende der Gans. Es ist unsinnig, auf den Tod der simplen Gans ein Klagelied anzustimmen Gänse sind dazu da, geschlachtet zu werden. Jeder, der aus Pommern oder Ostpreußen stammt, wird das bestätigen. Wie sagen die Berliner ? Eine jut jebratene Jans is'ne jute Jabe Jottes.

Bei Gänsen sagt man „kroß". Gänse müssen kroß gebacken sein, sonst hat die ganze Geschichte keinen Zweck. Sie sollen in ihrem eigenen Schmalz bruzzeln. Sie sollen behutsam hin und her gewendet und mit Fett begossen werden, bis sie eine milchschokoladenfarbene Tönung angenommen haben. Inwendig werden Gänse mit einem Brei aus Winteräpfeln, Rosinen und Maroni gestopft. Ein paar Tropfen Zitrone können nicht schaden.

Aus der Leber wird für Feinschmecker die Pastete hergestellt. Was für den Fußgänger das Bratwürstchen, das ist für den zahlenden Passagier der ersten Klasse eines Übersee- Dampfers die Gänseleberpastete.

Gänse sind dumm. Die Dummheit geht daraus hervor, daß sie es nicht fertig bringen, uneins zu sein. Gänse sind sich in der Marschrichtung immer einig. Die Ornithologen, die sich damit befassen, das Seelenleben der Gans in Bücher zu pressen, behaupten, daß Gänse treu seien. Ein Ganter balzt nie ein fremdes Gänschen an, und sollte seine Alte noch so gerupft aussehen.

Das erzählen die Gänseforscher. Wir müssen es ihnen glauben. Ob diese Treue echt ist, sei dahingestellt. Verwunderlich ist nur, daß die Menschen noch nicht darauf gekommen sind, zu sagen: „Herr Meier ist so treu wie ein Ganter". Sie sagen doch auch: „Lieselotte ist ein dummes Gänschen".

Da haben wir das Malheur. Die Dummheit der Gans hat sich fatalerweise auf das junge Mädchen übertragen. Mädchen im Alter zwischen Schulentlassung und erster aufgehobener Verlobung sind Gänse, daran ist nicht zu rütteln.

Was sollen die jungen Mädchen tun? Nichts. Aus dieser vorgefaßten Meinung gibt es kein Entrinnen mehr. Im Gegenteil. Die Sprachforscher kennen Ausdrücke wie „gänsig" für albern und „ganserln" für schwatzen. Das ist schlimm für die gänsige Edeltraud, die jetzt vielleicht darüber ganserlt, daß so etwas überhaupt gedruckt wird.

Erschienen am 18/12.54