"Lady Windermeres Fächer" (1960)
Oscar Wildes Komödie im Theater am Domhof in Osnabrück

London vor der Jahrhundertwende. Es ist die Zeit, da man zur Ballrobe den Fächer trug. Fächer waren nützlich. Man konnte hinter ihnen das Gesicht verbergen, man konnte Liebesbotschaften hineinkritzeln, man konnte erfrischenden Wind damit entfachen. In Oscar Wildes vieraktiger Komödie von Lady Windermeres Fächer dient das Ballrequisit dazu, den guten Ruf einer Dame zu retten.
Die Dame mit dem guten Ruf, es ist Lady Windermere, hat nachts die Wohnung eines Freundes aufgesucht. Sie will nicht länger mehr mit ihrem ungetreuen Lord verheiratet sein. Aber dann klärt sich die Untreue auf. Lord Windermere ist so gut wie unschuldig. Eine dritte Person nimmt die Schande auf sich, nachts bei Lord Darlington gewesen zu sein. Es ist reiner Edelmut.
Diese dritte Person ist Miß Erlynne, Lady Windermeres ach so früh verstorbene Mutter, die in Wirklichkeit ihren Gatten und das Kind verlassen hat und einem Liebhaber gefolgt ist, der, so geht es im Leben, seinerseits die Liebste sitzen ließ.
Verrat kommt alle Tage vor, aber es kommt nicht alle Tage vor, daß einem die triviale Er-sie-es-hat-mich-verlassen-Story so amüsant, geistreich, witzig, gutverzahnt und moralinfrei erzählt wird. Die Moral von der Geschichte ist nicht die, nachts daheimzubleiben und redlich zu sein, sondern die, das verlogene Getue der Londoner Gesellschaft um die Jahrhundertwende ulkig zu finden.
Oscar Wilde fand es ulkig, er war der Mann dazu, es ulkig zu finden - bis zu jenem Tage, an dem sich die von ihm verulkte Gesellschaft rächte, indem sie ihn ins Readinger Zuchthaus einsperrte. Er, der gefeierte Dichter und das Enfant terrible einer Gesellschaft, deren Absurditäten zu bewitzeln er nicht müde geworden war, erholte sich nie wieder von der Qual des Freßnapfs.
Das Stück ist exaktes Handwerk - nach französischem Vorbild. Man schmunzelt, lacht, applaudiert und geht heim, ohne schockiert zu sein. Man ist amüsiert (So war das also vor siebzig Jahren? Wie es heute ist, steht auf einem anderen Brett). Dr. Hermann Schultze inszenierte mit leichter Hand. Die Aufführung besaß den Pfiff und den Elan, den Wildes Aphorismen brauchen, um zu brillieren, um anzukommen, um zu überzeugen. Die Bühnenbilder und Kostüme von Robert Stahl spiegelten die Atmosphäre jener Salons wieder, an deren Türe der Butler stand, die Namen der erlauchten Herrschaften anzusagen . .
"Miß Erlynne" zum Beispiel. Da steht sie, die Frau, die Mann und Kind im Stich gelassen hat, um sich dem Leben jenseits der High Society in die Arme zu werfen. Eine Lady mit schlechtem Ruf, aber mit Herz. Oscar Wilde sah in ihr die "gute Frau". Der dandyhafte Autor hätte an der Darstellung seiner verruchten Heldin durch Edith Lechtape inniges Vergnügen gehabt. So berückend wird Mrs. Erlynne nur alle zehn Jahre einmal gespielt. Soviel Parfüm, soviel Witz, soviel Charakter, soviel Verlogenheit, soviel eiskalte Sicherheit übertrafen fast die Rolle.
Auszusehen wie Engländerinnen aussehen und so shocking zu tun wie sie, gelang Gabriele Marti als Lady Windermere mit Ironie und Grazie. Gerhard Kauffmann war ein etwas zu hausbackener Lord, wie überhaupt die Lords und Misters zu wenig typisch waren. Als Herzogin v. Berwick, eine klatschsüchtige, zerfahren-liebenswürdige Salonbestie, erfreute Anne-Liese Johow das Publikum. Christa Schütte spielte deren Tochter mit fürwitzig-drolliger Backfischmiene.
Erwin Dorow stellte den leicht vertrottelten Lord Augustus Lorton dar, eine komische, jedoch sympathische Figur, die Dorow interessant auszustaffieren wußte. Victor Tacik trat als Lord Darlington auf, mit forschem Geist und behendem Schritt, siegreich wie immer. Ebenso forsch, aber schlechthin als Mister: Folkrad Dietl, Arno Bergler und Wolfgang Günther. Walter Laugwitz und Hannes Zaddach waren Diener. Clarissa Sypniewski und Gudrun Reißland salonfüllende Damen, und Irene Gelbke ein Stubenmädchen.
Beifall und Vorhänge, für die Darsteller, für den Regisseur, für den Bühnenbildner und, last not least, für den unglückseligen Dichter.