Die kleinen Gärten

Das Papier am Schwarzen Brett des Kleingärtnervereins ist vergilbt. Die Schrift ist vom Regen verwaschen. Was da zu melden war, trägt das Datum vom 30. August. Fünfzig Kilo PeruGuano kosten 28,80 DM, fünfzig Kilo Lützeldünger 17,60 DM, und wer noch Dünger braucht, muss seine Bestellung schnellstens beim Obmann abgeben. Der Vorstand.

Die Kleingärtner werden also von einem Vorstand und von Obmännern regiert, Ich möchte gern einen Mann kennenlernen, der Obmann ist, nur um ihn zu fragen: „Was ist Lützeldünger?" Ich weiß es nicht. Ich bin schon lange der Meinung, dass sie mir in der Schule das Wichtigste verschwiegen haben. Auch Lützeldünger gehört dazu.

Das Platzkonzert mit der Feuerwehrkapelle vor dem Vereinshaus, wozu hier immer noch eingeladen wird, hat längst stattgefunden. Die Fahne ist eingerollt, die Bänke sind weggeräumt und die leeren Bierfässer der Brauerei zurückgegeben worden. Der November ist über die kleinen Gärten gekommen, der November mit seinem Verwesungsgeruch, seinem Nieselregen und seiner Traurigkeit.

Aber heute ist noch ein schöner Tag. Es ist vollkommen windstill. Die riesigen Sonnenblumen mit ihren erloschenen, schokoladenfarbenen Blütentellern nicken nicht einmal. Hinter den Hecken klickt eine Schere, ein Rasenmäher surrt, und ein Hammer nagelt eine Tür zu. Jemand macht seine Bude dicht. Er lässt auf dem Tisch ein paar bunte Samentüten und eine Bierflasche zurück. Er hat eine Tasche voll Zwiebeln und Porree geerntet. Jetzt fährt er mit dem Rad nach Hause. Im März wird er zurückkehren. Vielleicht vielleicht auch nicht. Ein alter Mann. Einer, der fünfzig Jahre hindurch hier seinen Sonntagnachmittag verbracht hat.

Sagte ich schon, dass es nach Erde und verbranntem Laub riecht? Man hört das Feuer knistern. Ein Baum ist über und über mit Graurenetten bedeckt. Aber kein einziges Blatt sitzt mehr an den Zweigen, nur diese Renetten. So sieht ein Christbaum aus, der vergessen wurde.

Leer sind die Starenkästen, und einsam ist der Zwerg aus Gips. Nur der Kürbis wuchert am Kompostbeet, und die Astern klecksen Farbe an kahles Beerenholz.

Es riecht nach Äpfeln, die im Gras verderben. Die Fäulnis der Äpfel, das ist der Geruch der Melancholie. Vorbei mit Kirmes und Schützenfest, mit Picknick und Tennisspiel, mit Blasmusik und Tanz im Freien. Morgen kommt der Frost.

Und einer steht am Zaun und sagt, dass seine Ziersonnenblumen drei Meter hoch geworden sind. Er lebt im Ruhestand. Oberlokführer. Hier am Bahndamm hat er Kontakt mit Signalen, Lokomotiven und Güterzügen. Schlachtvieh, das hat er fahren müssen, als er alt wurde.

Der Grund, warum bei ihm die Ziersonnenblumen und die Wicken drei Meter hoch werden, ist Brennesselsaft. Für Blaukorn und Grünkorn gibt er keinen Groschen aus. Er macht sich einen Sud aus Zigarrenstummeln und aus Hühnerfedern.

Sind Sie Obmann?" frage ich.

Er schüttelt den Kopf. „Wie kommen Sie darauf?"

War bloß so'n Gedanke", sage ich, „wenn Sie Obmann gewesen wären, hätte ich gefragt, was Blaukorn und Grünkorn ist."

Lassen Sie das", sagt er, „nehmen Sie Zigarrenstummel oder Hühnerfedern, die sind billiger."

Kann es sein, dass dieser Kleingärtner mich auf den Arm genommen hat?

17.11.68