Meraner Angebot in Schlössern

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Meran besitzt 38 Schlösser. Die Zahl habe ich einem Prospekt entnommen, der die im Etsch- und Passeiertal weilenden Touristen auf diese Anhäufung adliger Wohnsitze hinweist. Natürlich sind die meisten Herrschaften, deren Vorfahren hinter meterdicken Burgmauern irgendwelchen katholischen Bischöfen und römischen Grafen getrotzt toben, längst ausgezogen; denn es gibt in unserer Zeit nichts Widerwärtigeres, als in einem Schloß zu wohnen, und außerdem ist es kostspielig.
Der Zahn der Zeit hat die Schlösser zernagt, aber einige sind erhalten geblieben. Man hat Museen oder Hotels in ihnen eingerichtet. Die Nachkommen derer von Greifenstein und von Rottenstein fühlen sich in Villen mit Ölheizung und Stromanschluß wohler als in zugigen Kemenaten und waffenstrotzenden Rittersälen.
Alle Schlösser sind auf einem „Stein" erbaut, auf einem Felsen also. Man muß sich anstrengen, um hinaufzukommen. Ich gebe zu, daß ich in Schlösser vernarrt bin, und ich lasse keine Gelegenheit aus, Besichtigungen mitzumachen. Schon das Gebimmel der Glocke, die den Kastellan aus dem Schlaf weckt und die Dohlen im Gemäuer erschreckt, fährt mir wohlig durchs Gemüte. Da kommt solch ein weißhaariger, durch und durch mürrischer Alter herbeigesockt und hebt mit fistelnder Stimme an, Namen und Daten herunterzuleiern …
Die Schlösser in Meran und Umgebung haben alle etwas Besonderes. Nirgends bin ich der „Weißen Dame" oder jenen simplen Gespenstern begegnet, die einem in Westfalen aufgebunden werden. Man kann nicht einfach in jedem Schloß ein bildschönes Mädchen einmauern und sie als „Weiße Dame" verkaufen, das glaubt heute kein Schloßhund mehr. In Meran und Umgebung geht es da viel aufregender zu.
Ich habe, um beliebiges, Beispiel anzuführen vor einem schwarzen, mit genopptem Leder bezogenen Schreibtischsessel gestanden, darin ein gewisser Erzherzog Johann starb, „nachdem er", so sprach der Kastellan, „für die nachkommende Welt die schöne Erbschaft einer wahren, innigen Liebe geboten hatte". Ich frage mich, wo wird einem in Schlössern von wahrer, inniger Liebe geredet?
Mädchen von harter Ritterfaust eingemauert, sind doch das gerade Gegenteil!
Und mit wem ist dieser Erzherzog glücklich gewesen? Mit der Tochter eines Tischlers aus dem Passeiertal. Wenn das kein Roman ist, dann weiß ich nicht,wozu Schlösser gut sind.
Überhaupt, mit der Liese haben sie es hier sehr gehabt. Berührst war Etschtal seinerzeit der Minnesänger Oswald von Wolkenstein. Er unterhielt zu der Tochter eines Herzogs romantische Beziehungen und wurde, weil der. Herzog Gesang zu wenig war ins Burgverlies geworfen. Dort schmachtete er monatelang, bis ihm die schöne Herzogstochter vergangen war. Da denktunsereiner immer, die Minnesänger, die hatten es gut. Hahaha, ins Loch wurden sie getan.
Ein Schlager auf dem Gebiet der Schloßraritäten ist ein barockes Himmelbett, darin die Kaiserin Maria Theresia geschlafen hat. Es steht in einem Schloß, das als Hotel der ersten Kategorie gilt. Amerikanische Brautpaare verbringen in diesem Zimmer ihre Honigwochen; dem kaiserlichen Himmelbett kann niemand widerstehen. Ebenfalls sind Betten gefragt, in denen Könige, Erzherzöge und - ein bißchen mit Abstand - Dichter genächtigt haben. Selbst Goethe scheint in Meran geruhet zu haben. Sein Bett habe ich nicht gefunden, aber eine Autogarage war da, die hieß, „Goethe-Rimessa".
Die Kastellane haben auch an Kanonenkugeln aus der Zeit Napoleons gedacht, an Schmuckschatullen diverser Damen aus dem Hause Medici, an das Eßbesteck der Kaiserin Karoline Augusta, an den Briefbeschwerer des Königs Friedrich Wilhelm IV. von Preußen, an krumme Säbel aus dem Türkenkrieg, an die Wiege Andreas Hofers, an Dolche, Giftbecher, Schnupftabakdosen und Pistolets. Mit all diesen Gegenständen waren teils pikante, teils blutrünstige Geschichten verknüpft. Niemals haftete ihnen Langeweile an, und sie , konnten ebensogut wahr' wie erfunden sein.
Was macht es schon aus, ob in einem barocken Himmelbett die Kaiserin Maria Theresia oder die neureiche Frau Hinterhuber geschlummert hat? Der Holzwurm, der Herzenswurm, tickt halt in jeder Lade.

Aus „Die Welt“ 1959