„Fräulein Lampe“ hatte den richtigen Riecher

Major Chaloner arbeitete schon in Osnabrück
am neuen Wochenmagazin 26. Jan.1997

Osnabrück (re) - In der Augstein-Biographie von Leo Brawand, „Spiegel"-Mann der ersten Stunde, sagt Pressemajor John Chaloner über seine deutschen Sekretärinnen: „Beide verdienen höch-stes öffentliches Lob, denn wenn der Spiegel so etwas wie Geburtshelfer gehabt hat, dann waren es diese beiden Mädchen."

Eines der „Mädchen", die Osnabrückerin Elfriede Westphal, erinnert sich noch gut an die „Geburtshilfe": Mit Schere und Leim halfen sie Chaloner in seinem Büro in der Möserstraße 5, seine Vorstellung von einem deutschen Nachrichtenmagazin zu verwirklichen: „Er stand ständig vor einer Wand und entwarf Seitenaufrisse des künfti-gen Magazins, das die Ereig-nisse der Woche widerspiegeln sollte. "Dabei qualmte er eine Zigarette nach der anderen. Dass der Major sie und ihre Kollegin Hildegard Neef „kujoniert" und zu Tränen getrieben habe, wie es Brawand in seinem Buch schildert, weiß die heute 76 jährige mit Entschiedenheit zurück.

Allerdings legte John Chaloner als damals 22jähriger Wert darauf, dass sein jugendliches Alter unter seinen zum Teil erheblich älteren Mitstreitern nicht übermäßig breitgetreten wurde, um seine Autorität zu wahren, wie sich Frau Westphal erinnert. Sie hatte, als schon in Osnabrück über die Namensgebung des neuen Blattes diskutiert wurde, eine gute Idee: „Wochenspiegel." Damit lag sie goldrichtig, denn zunächst hieß das neue Magazin „Diese Woche" und darauf „Der Spiegel".

Elfriede Westphal: „Eigentlich Achilles Markowsky erhielt im Frühjahr 1946 in Düsseldorf, wo er nach der Heimkehr aus Russland wohnte, einen Anruf von John Chaloner. Er möge sich umgehend in Osnabrück melden. Der selbstbewusste Zei-tungsmann, der bei Ullstein in Berlin Karriere gemacht hatte, bedeutete den Briten, dass er nicht daran denke, mit Hut, Mantel und elegantem Koffer auf einem Kohlenzug zu reisen (damals die einzige Transportmöglichkeit durch die „britische Zone") und legte den Hörer auf. Wenig später erschien eine britische Delegation in Düsseldorf, brachte ein opulentes Frühstück mit- und chauffierte Markowsky mit dem Auto nach Osnabrück. Ab Herbst 1946 war er erster Lizenzträger einer Osnabrücker Zeitung nach dem Krieg („Neues Tageblatt", Keimzelle der 1967 gegründeten „Neuen Osnabrücker Zeitung").

Der temperamentvolle Berliner, der auch nach 50 Jahren in Osnabrück seine Herkunft nicht zu verleugnen gedenkt und am Mittwoch 86 Jahre alt wird, hat Major Chaloner als gebildeten und liebenswürdigen Mann in Erinnerung. Leider sei er zu oft auf die falschen Frauen hereingefallen, und so stehe er heute vor einigen zerbrochenen Ehen, auch vor gescheiterten beruflichen Unternehmungen, wie Markowsky berichtet. Noch vor einem halben Jahr telefonierten beide miteinander.

Im Frühjahr 1947, als John Chaloner schon längst nach Hannover abgereist war, erhielt Achilles Markowsky einen Brief von der dortigen britischen Dienststelle. Es werde demnächst ine Wochenzeitung unter einem Lizenzträger namens Rudolf Augstein erscheinen, ob er, Markowsky, nicht die kaufmännische Leitung übernehmen wolle. Er wollte wohl, aber seine Frau nicht. „Untersteh dich, drohte sie mir", berichtet der Alt-Verleger schmunzelnd, und so blieb er in Osnabrück.

Dafür folgte einer seiner Mitarbeiter, Hans-Detlef Becker, damals für die Grafschafter Nachrichten zuständig, dem Ruf aus Hannover. Als er Markowsky von dem Angebot berichtete, frozzelte der ihn auf gut berlinerisch an: „Sie wollen mir verlassen, Sie Pflaume?" Und ließ ihn ziehen. Becker radelt mit einem der soeben angeschafften neuen Dienstfahrräder nach Hannover, um dem Kohlenzug zu entgehen. Als Verlagsdirektor des „Spiegels" war er dann lange Jahre enger Begleiter von Rudolf Augstein.