Einen Christbaum kaufen (1965)

Jetzt daran denken, den Christbaum zu kaufen. Er muß frisch geschlagen und einsachtzig groß sein. Die Händler haben sich wie alle Jahre wieder auf ihren Plätzen eingerichtet. Das Publikum weiß, wo die Bäume zu finden sind, an den Kirchen, auf dem Schulhof oder in einem Häuserwinkel, der vom Verkehr nicht berührt wird. Dort reihen sie ihre Ware an der Mauer auf und harren des treuen Kunden.
Die Kundschaft ist freundlich gestimmt, einmal des Weihnachtsgeldes wegen, das gut angelegt wurde, und zum anderen Male überhaupt. Vor dem Fest verkümmern alle Sorgen und Ängste und derlei misanthropisches Gewächs. Man freut sich auf ein paar Tage ausruhen auf Kerzenglanz, Klingelingeling und Gebackenes.
Meist sind es die Väter, die den Christbaum einkaufen, und sie nehmen den ältesten Sohn mit. Der älteste Sohn darf wissen, wo die Christbäume herkommen. Sie kommen aus dem Wald. An den Zweigen krusten Schnee und winzige Tropfen Eis, die wie Schmuck wirken.      Die Händler sind immer dieselben. Es müssen Männer sein, die sich auf die Zucht und den Vertrieb von Christbäumen spezialisiert haben. Sie sind warm in Lodenzeug gehüllt und tragen Mützen, die auch die Ohren bedecken, und ihr Handwerkszeug ist der Fuchsschwanz. Mit dem Fuchsschwanz bringen sie den Baum auf das richtige Maß. Ritscheratsche. Macht sieben Mark. Frohe Feiertag, und auf Wiedersehen bis zum nächsten Jahr.
Nächstes Jahr, ach ja. Es ist merkwürdig, wie deutlich einem diese Szene hier in Erinnerung bleibt. Die vielen Bäume und der Händler mit seinen Fausthandschuhen. Es ist als sei es gestern gewesen, und doch sind inzwischen dreihundertfünfundsechzig Tage dahingegangen, die äußerlich einer wie der andere waren, aber im Innern Schicksal einleiteten. Wer weiß das, wenn er auf die Frage, wie es ihm ergehe, danke! danke! antwortet? Und einmal kommt ja auch der Tag, an dem wir den letzten Baum einkaufen.
Vorläufig ist davon allerdings keine Rede. Es geht einem tatsächlich noch danke! danke! und lalala. Man ist aufgeräumt und fröhlich. Unser Blick ist auf Grünes gelenkt und auf den Umstand, daß Grünes hier große Freude kündet.
„Wie wär’s mit einer Gans?“, fragt der Händler, „ich hab‘ noch eine.“ Er ist im Nebenberuf Geflügelzüchter und Gemüsebauer, und die Christbäume sind vielleicht doch nicht die Hauptsache. Eine Gans, jawohl. Ich bin gerührt, weil mir der Mann zutraut, daß ich mir zum Fest eine Gans leisten kann.
Ich werde meiner Familie eine Gans schenken. Eine Gans vom Lande, da wo das Grüne wächst, ist mal was anderes als Frikadelle. Abgemacht. Der Händler hat in einem vor Wind geschützten Eckchen ein Stövchen aufgestellt. Dort klimmen ein paar Kohlen unter dem Rost, auf dem eine emaillierte Kanne steht. Der Topf schmatzt leise vor sich hin. Ich werde eingeladen zu einer Tasse, in die der Händler einen Schnapps kippt und das ist nun wie in alter Zeit, als ein Handel noch zünftig abgeschlossen wurde.
Dann beißt der Mann, weil er doch in der rechten Hand die Tasse hält und nicht weiß wohin damit, den Faustschuh von der linken Hand herunter, und es ist alles ein bißchen umständlich jetzt, die Adresse aufzuschreiben, das Geld wechseln und den Stöpsel aus der Flasche ziehen: „Na, denn prost!“
Ich lege ein Tannenreislein auf die glühende Kohle, und im nu duftet es nach Weihnachten. Ein Junge hockt sich mit ans Stövchen und zieht eine metallene Kugel auf, in der ein Uhrwerk verborgen ist, das musizieren kann. „Oh du fröhliche, oh du selige“ klimpert es zart dahin, so zart, daß man es kaum hören kann.

Einen Christbaum kaufen