Die Dörfer im Bergischen

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Kürten

Man sage nicht, Kürten sei ein Nest am Rande der Welt etwa, es zähle soundsoviele Einwohner und besitze ein Taufbecken aus dem zwölften Jahrhundert. Man sage auch nicht nur, daß es im Bergischen gelegen sei, wärts des Rheines oder was man will, man könne sogar an blauen Tagen den Dom in der ferne beten sehen. Kommt es auf die Zahl der Sitzungen an, die gehalten werden.

Vielleicht ist der Termin der Zerstörung wichtiger, sicherlich aber die Ströme von Milch, die morgendlich zur Stadt fließen.

Es muß, soll von Kürten die Rede sein, sehr gründlich erzählt werden, dass die Landschaft eine reine ist, und darin nicht bloß die Eigentümlichkeit besteht, sondern auch die große (in des Wortes wahrem Sinne große) Schönheit dieses von Bergisch Gladbach bis Wipperfürth, vom Sülztal bis zur Wupper hin gebreiteten Bildes aus der Gotteswelt. Dies ist das Wort: reine Landschaft, ursprüngliche; Landschaft , der man anfühlt, daß sie seit fernen Zeiten der Erdgeschichte bis nämlich geblieben ist: Landschaft m der noch die ersten Kräfte der Entstehung, stärkend bis heute, sichtlich innewohnen. Grüner und blumiger können diese Wiesenhänge unterhalb der Ränder der Laubwälder nie gewesen sein, frischer nicht. Dunkler, ernster, gotischer standen die Tannen niemals über den lichten Matten und unter dem blonden, am Abend violetten Grau der Steinbruchfelsen.

Noch immer scheint diese Landschaft ihre Größe und Macht, ihre unerbittliche Strenge und leuchtende Lieblichkeit aus der Schöpfung selbst zu ziehen. So liegt sie da: mit Wild und Milchkühen und dem Branntwein ihrer vielen Fuhrmannskneipen; im Verhältnis wenig besiedelt, wie die Wälder anheben, dunkel zu werden und einsam. Sie liegt da als ein dauerndes Ebenbild ihrer ersten Tage. Wohl führen Autostraßen längst durchs Land und seit Jahren regelrecht Verkehrslinien; aber in den Wiesen längs der Straßen grasen die rötlichen Rehe, und es stolziert der Fasan über den Acker, als wäre da draußen nichts als das Paradies – ja als gäbe es in diesem schießfrohen Lande nicht einmal den Jäger. Die Wiesentäler zwischen den Bergen scheinen eben erst berührt zu sein. Wo die Art die rotbraunen Leiber der Buchen gefällt hat, das Holz zu holen, das in weiße Kloben gespalten, den harten bergischen Winter wärmt, da sieht es aus, als wären Stille abseitige Jahrhunderte mit einem Mal erst Gegenwart geworden, und die Birken schimmern dazu wie eben erst entzündete Kerzen.

Daß eine Landschaft von so ursprünglicher Gestalt nicht der Größe ermangeln kann, begreift sich. Da breitet sich das Land, bergan, bergab, dazwischen weit erstreckt mit Aeckern, Wiesen und Moosen, die wie grüne Seen sind, vielleicht in uralten Zeiten mal von Tieren und Elfenfindern belebt. Immer tauchen neue Berge auf, wie aus unsichtbarer Flut – und wirklich ist dieses Bergische fehlt, von oben angeschaut, mit den Wellen seines Geländes dem Meer ähnlich, wo Bewegung und Ruhe in einer einzigen Großartigen sich ewig miteinander vergleichen.

Man läuft über Land. Der Weg geht in althergebrachten, unserem Zwecksinn unfaßlichen Kurven nicht anders als ein Fluß, als die Sülz etwa, die aus dem Berge vorkommt, um bald da, bald dort überraschend da zu sein, bald hell und hurtig, bald trächtig von Flut, olivgrün und tief. Die abhangenden Felder und Matten neigen sich gegeneinander, die Umrisse der Hügelrücken überschneide sich. An den Himmel gelehnt steht ein Kirchturm auf, alter Gotteshort, einfach wie die Wohnung der Menschen selbst, mit einem Hahn darauf, der den Regen sündet, alles sehr alt und aus jenen Zeiten überliefert, in denen das bekehrte Land die erste christliche Gestalt gewann. Man geht weiter, und hinter einem grünen oder schwarzbraunen Rücken entzaubert sich ein puppenstubenartiges Gebilde, weißglänzend wie eine Hemdgruft und durchzogen von schwarzen Falten, Starenkästen im Giebel; oder eine Scheunenwand schaut hervor, silbern gewaschen von Regen und Sonne verbrämt mit Grün und dem Gerank der Buschwindröschen. Da weiß man: dies hier ist die Kürtener Landschaft. Man wüßte es auch dann, wenn dort vorn nicht der Bauer herginge, den Jägerhut aus der Stirn geschoben, gesund und stark und schier soldatisch; der Mann mit den festausgreifenden Beinen, die die Soße umspannt wie eine Wurstwelle, sicher und rührig, in breitgewölbter Fäche, wie auf einem Bilde des alten Breughel.

Stunde wandert man, und das Bild hört nicht auf, sich selbst zu gleichen, indem es sich immerzu erneuert. Nicht die Abwandlungen der Landschaft sind es, die unterhalten und ergötzen, ohne Unterhalt in Warchheit und Spannung erhalten, es ist das Thema selbst, das nicht aufhört, musikalisch zu sein, einen ernstlich zu beschäftigen, das Thema dieser Landschaft. Steigende Wiese , schräge Acker. Kühe darauf , das feuchte Gras rupfend, schwarz und weiß von Farbe wie die Häuser. Die helle Straße , aus sich weiterbewegt wie eine ruhig kriechende Schlange. Ein Kruzifix am Wegrand, aus Stein, und grau geschliffen vom Wetter, ein fromm gemeißeltes Kreuz, ländliche Kunft aus altem gewissen Herkommen, doch auch aus natürlichem Kunstsinn, mit einer Vollendung, die in einem Stil ganz eigener, ich sage lindlarer Prägung die verpflichtende Form gefunden hat. In Kreuzesnähe auf dem Braun des Ackers ein Gaul, der schnaubend den Pflug durch die Erde zieht. Ernsthaft still der Bauer. Ein leises „Gott!“.

Dann gehen die Fenster über von dem Feuerrot der Beranien. Ein Bauernhof steht da, und viele Obstbäume schütten köstliche Früchte in die Speisekammer. Der Stall ist nicht angebaut, so daß ein gemeinschaftliches Dach den Bauer, die Seinen, das Gesinde und die Tiere schützt und der anmutende Brodem der schmalzreichen Küche sich mit dem kräftigen und weichen Brodem der Kinder vermengt. Hier bleibt der Bauer, was er ist: ein König auf seinem Fleckchen Land, der in der luftigen Freiheit seiner Berge wohnt, der „roemryken“, wie es seine Väter und Vorväter in Jahrhunderten unter Sturm und Frost, unter dem blühenden Waienhimmel und unter dem kornblumenblauen und glasklaren Firmament des bergischen Herbstes je und je getan haben.

Sind diese Ahnen leibeigen gewesen? Ihren Söhnen, Enkeln und Urenkeln ist die freie Haltung geblieben, das Aufrechte, Unbefangene, ein Bewußtsein in Ruhe und Selbstverwständlichkeit. Man kann nicht davon absehen, wahrzuhaben, daß diese freie Haltung, dies natürliche Selbstbewußtsein hier in Kürtener Gebiet (das ja für uns das bergische recht eigentlich ausmacht) eine besondere Form und Farbe empfangen hat: nämlich vom Gotischen, das ja eine einzige Himmelfahrt gewesen ist, von jenem letzten eigentlichen Stil des Rheinlandes, der freilich bis auf diesen Tag lebendig fortgewirkt hat. Gleich einem dauerndem Weihnachtsglanz, gleich einem immerwährenden Pfingstschimmer ist eine gotische Pracht über das Land gestreut. Und wie diesen Dorfkirchen, die alle den Kölner Dom zum Vater haben, die lebendige, zum Himmel strebende, jauchzend emporgehobene und dennoch in allen Fasern dunkle und mahnende Fülle an Frommheit eigen geblieben ist, so daß sie in unseren Tagen noch mit unmittelbarer Beredsamkeit zur Seele spricht; wie die Menschen in der Messe zur Wandlung knien und die Häupter tief sich senkten, das Glöcklein in den Wald bimmelt und ein Gebet zu den Pfeilern steigt: wie endlich alles in diesen schmalen hohen Kirchen zum Glauben führt, zum Hoffen und einer beglückenden Freundschaft mit Gott, der Geburt und Tod, die Freude und das Leid zu geben vermag, wie dieses alles betrübt und heiter macht, wohl aus einem rheinisch-leichten und bergisch stockenden Temperament zugleich; so ist der Landschaft wie dem Volkstum das Nämliche gegeben.
Es lohnt sich sich, dieses Volkstum nicht anders als seine Landschaft, da zu erblicken, wo das Schöne und Schönste geblieben ist.

Lindlar, neu entdeckt
Sicher ist, daß der Wanderer schon stutzig wurde, als er die ulkigen Wegweiser, aufgestellt fand an den Straßenecken und beobachten konnte, wie die darauf dargestellten Personen auf eine besondere Weise originell und mit saftigem Humor geladen waren wie Kanonen, gerichtet auf das heitere Gemüt der Wandernden. Sie waren aus Blech geschnitten und mit Farbe grell bemalt, sodaß sie aus dem Grün der Bäume und vor einer Wiese, darauf bunte Kühe wie Farbflecke waren, sofort ins Auge fielen. Die Männer waren alle dick, zeigten Glatzen und hatten viel von jener dörflichen Behäbigkeit, die Biertische befruchtet und Regelabende möglich macht. Je nachdem der Wegweiser ein Ziel angab, war ein martialisch mit Säbel, Glocke und Schnurrbart ausgestatteter Wachtmeister zu sehen und ein kahlköpfiges Männlein, das schüchtern den Hut zog. Oder ein harter Holzfäller, wie er in den Wäldern vorkommt, lehnt die Art auf die weiße Fläche Buchenstamm und wies mit der Hand in die Ferne. Wohl zu irgendeiner Sehenswürdigkeit?

Die waren plötzlich da wie Rosinen in einem Kuchen. Wußte man, daß es die „Fremitage“ gab, den „Waldweg nach Engelskirchen“, umdunkelt von Fichtenhainen, überhellt von Sonne und geschwollen vom Duft der Erde, der Kräuter und Mooße? Wußte man, daß es die „Hermannshöhe“ gibt, mit dem Blick auf blaue Berge, sanft schimmernde Täler und weiße Höfe, auf Bauernpferde, die wie Spielzeug sind? Daß man sich vorkommen kann wie ein Rübezahl, und mit zwei Fingerspitzen ein solches Pfluggespann aufheben zu können vermeint? Sogar ein Wässerchen rollt zu Tal und das feine Geglucker dringt durch das Tannendunkel bis zur Höhe. Eine Holztaube knattert hinweg; aus einem dürren Finsterbusch steckt eine wildernde Katze ihr dickes Haupt, ihr dickes Tigerhaupt. Den Weg durch den Hennenbusch gibt es und den zu den Burgruinen und Kapellen von Heiligenhoven. Durch die vergitterten Fensterchen sind auf den Altären blaugewandete Gipsengelchen zu sehen und vor den vielen messingnen Leuchtern eine welke Fülle später Sommerblumen. Von weither tönt Geklopf von Aerten her, und es lagern sich an einen braunen Berg wie Streichhölzer die geschälten Stämme der Fichten. Das rote Dach eines Siedlungshauses schiebt sich ein. Zeigte nicht irgendwo ein junger Mann in der Kleidung des Deutschen Arbeitsdienstes zweien Kofferbepackten Männern den Weg zum Schloß, zum Lager? Ich glaube wohl.

Dann waren noch andere Wegweiser da und sie alle zeigten Altes auf, das neu zu entdecken sich der Mühe lohnt. Er ging den Pfaden nach und fand das Dorf schön, das breit und mit vielen Obsthöfen und Gemüsegärten sehr ländlich in den Talkessel gebettet lag. Er sah die Kirche, gotisch, mit ihrem Säulchenturm als das Besondere dieses Ortes gegen eine weiße Wolke stehen, das Gestein schien vor diesem Hintergrund noch grauer und ehrwürdiger, fast verwitterter zu sein als ohnehin schon, und das Gold der Turmuhr blitzte seltsam strahlend über dem Efeu. Er sah die Wappentafel im Kircheninnern angebracht und entziffert die lateinischen Schriften, die nie geschauten Wappenbilder, Aehren, Retten, Tiere, Aerte, sie waren ihm Gründer einer geschlechterstarken, kriegerischen und maschinenleeren Zeit. Ihre Burgen waren verfallen, keine Ruinen erzählten von ihrem Dasein, ja, er wußte nicht einmal, ob es alle diese Namen noch gab, von Len zu Lenen, von Borendunk und Schenk von Nideg. Er sah die Sonne bunt ins Gestühl fallen und die Glasmalereien der Fenster wie Bilderbücher aufgeschlagen, während ein Lernender auf der Orgel einen brausenden Choral beendete.

Dazu ragte vor dem Kirchenportal ein Schlankes Kreuz empor, erinnernd an eine Missionswoche, die irgendwann mal die Lauheit der Menschen in Frömmigkeit umwandelte und in christlichen Dinge eine Station der Erinnerung schuf. Eine Mauer umfriedet das Kreuz gegen den Platz und es wächst aus einem grünen Rasen. Stein aus den Brüchen von Lindlar.Grauwacke. Sie ist weiß, staubig grau und manchmal grub der Regen grüne Furchen ein. Im Inneren wurden die Säulen von Kleid der Farbe befreit, nun ragen sie bleich und stark empor als ein herrliches Gewächs dieser Landschaft. Und auch der heilige Reinoldus steht mit seiner steinernen Frömmigkeit und dem festen Blick seiner Augen nicht anders als ein Steinbrucharbeiter auf seinem Gockel. Er ist ja ihr Schutzpatron. Ihr Vater.

Einer, ein Lindlarer Steinhauer, alter Hüter feiner Kunst, hat den Gesellenvater Adolf Rolping in Stein sehr fein gemeißelt. Als ein Denkmal und Zeugnis volkgeborenen Könnens grüßt die Düfte aus einer Augennische der Kirche. Ein Blumenstrauß gibt ein wenig Rot dazu.

Unterhalb der Kirche muß der Wanderer ein Fachwerkhaus wohnlich finden, das sich hell und freundlich, bewegt und künstlerisch durchdacht der Straße zuwendet. Im Schritt der neuen Zeit – kommt hier eine architektonische Besinnung zum Durchburch? Es müßte der nüchternen, abstoßenden Häßlichkeit der Bauten früherer Jahre ein Machtwort geredet werden. Auch die Landarbeiterhäuschen, kasernenmäßig wie sie sind und überlaut von Farbe, können nicht schön wirken und sind nicht Ausdruck der deutschen Eigenart. Hier wurde ein Prachtbau hingestellt. Romantisch winklig, dörflich, schön, durchaus nicht altertümlich (was einen naiven Rückfall bedeuten würde), vielmehr erfüllt von Raum und den Errungenschaften einer zielbewußten, neuzeitlichen Baukunst. So sollte in Zukunft gebaut werden, in etwa auch in der Erinnerung an Gutes und Großes unserer Väter, an all das märchenselig freundliche und zärtliche Getue, das Sachliche unserer Tage erledigt und eine Stilfrohe, dem Geschmack des Erbauers entsprechende originelle Kunst gefördert werden. Ist nicht Dinkelsbühl ein Schönes, und der Marktplatz so manchen Rheinstädtchens ein Entzücken für Gesicht und Seele?

So setzten sich auch Gaststättenbesitzer auf die Hinterbeine und bauten häusliche berührende Veranden an, in denen es sich bei Bier und Kaffee, Musik, Tanzboden und echten Blumen (was nicht genug gelobt werden kann) gemütlich feiern läßt. Was die Wirtschaften anbetrifft, ist Lindlar bereit, den Strom von Liebhabern aufzunehmen, der würdig schiene, seine landschaftliche Schönheit auszukosten. Reichen die Finger aus, sie aufzuzählen? Wohl kaum. Aber alle sind nett sauber, und atmen eine Stimmung aus, die gemischt ist aus dem Geruch von Gärten, dem Schimmer alter Kupferstiche und dem Dunst eines guten, landerzeugten Korns.

Wie die Wirtschaften breitet auch das Dorf eine wohlige, bekömmliche Ruhe aus. Trotzdem noch viele Meißel in den Brüchen schweigen , die grau und felsig, Schicksalhaft belastet über dem Dorf hängen, und in Fabriken durchaus keine Transmissionen donnern. Selbst die Heimindustrie ermattet liegt und nur die Erde Brot und fastgeschwellte Früchte gibt, dünkt den Wanderer das Dorf heiter und gesättigt, berauscht vom Duft des Ackers und der Sternenseligkeit seiner Nachtstunden. Vom Berge aus sieht er den Mond über dem Dorf aufgehen und die Scheinwerfer der Autos gespenstisch un den Abend tasten, ganze Häuschen und Gartenwinkel ins Licht stoßend, als sei das alles das Werk einer Laterna magica, die er als Kind mit der gkeichen rührenden Kraft seltsame Wunder wirken ließ.

Hier zaubert sie den Traum einer Spitzwegischen Deutschheit. Sie gefällt dem Wanderer.

Friedlingsdorf

Dort, wo sich der melhelle Stein des Bergischen – ein Grauwackebildung – mit dem Kieferngrün seiner Wälder zu einer reflektierenden Einheit verbindet; wo Stein und Waldboden durchwachsen den Grundakkord der ländlichen und vorzüglichen fortstlichen Bergkette angeben, sodaß aus diesem im Alter grünenden Stein nicht nur Felsen und Boden gebildet sind, sondern auch die Behausungen der Menschen und die Gebäude, die die der Verehrung Gottes gewidmet haben – kurzum , im Oberbergischen in der Gemeinde Lindlar liegt das tief versteckte Dorf, von dem hier berichtet wird. Es ist Frielingsdorf, weit entfernt davon, um berühmt zu sein, und doch zu nahe und charakterlich bedeutsam, als daß es nicht auch in die Waagschale des seelischen Gepräges dieser Landschaft fiele. Von Lindlar aus wandert man über Kirchbäumchen in Richtung Kluse, holpert auf löchriger Straße aud den Dimberg zu, der vor dem Dorf wie ein Katerrücken gestaubt und rund gebuckelt liegt, steigt also diesen sagenhaften Dimberg hinauf, von dem man keinerlei Geschichtliches zu wissen braucht, um mit der Nase auf – nicht zu stoßen. Aber man ist am Ziel. Hundert Meter vor dem Dorf atmet man auf freier Höhe den Duft des Rübenacker, vermutet in der Ferne das ewige Rauschen unermeßlicher Wälder, sieht von der Sonne freundlich bedacht das Nest liegen mit gekalkten Hauswänden und dem prallen Rot von Topfblumen. Ein Berkehrsverein würde

behaupten, das Dorf frei anmutig, nett, reizend in allen Ecken und somit gewitzt ein Luftkurort. Das könnte aber der wirklichen Schönheit Abbruch tun. Vielmehr liegt es herbe da, trotzig und bäuerlich mit Gesundheit geladen wie die Menschenfinder, die hier wohnen und von denen ein Pfarrer spaßhaft bemerkte, daß er den einen darum gäbe, wenn er den anderen quitt würde. Diese natürliche Bewegungsfreiheit in Sitte, Benehmen und Dasein, die der Wald und die unbezwängte Natur verbürgen, das Glück des nadelduftenden Bodens, die Beseligung eines hohen Vogelrufs werden kaum beeinträchtigt durch den Ruf von „schlägerischer Tüchtigkeit“, der dieser Ecke als ein Merkmal soldatischer Strammheit und aus langer Zeit anhaftet.

Wir wollten das Gruseln lernen. War die Raubritterburg auf dem Neuenberg der rechte Ort? Umrauscht von Buchen, in der Sonne gelegen und verwildert von Dornengestrüpp macht die Ruiune seinen erregenden Einbruch; aber als abends der Wind durchs Gestein pfiff und etwas wie gedämpftes Brummen über den Bergrücken kroch, auch ein ungewöhnlich kalter Lufthauch wir aus eisigem Grunde aufzusteigen begann, da dünkte und das flirrende Gerauf der wilden Ritter gar nicht fern, und auch der Uhuruf war plötzlich da, wie der Klageschrei Gefangener im Burgverlies. Stiegen nicht die Zwerge durch den Schacht? Etwas von jener naturhaft rohen Phantastik besitzt auch die Landschaft um die Ruine Enbach; dünne Nebel stiegen aus den Üferbüßchen und in den Fensterbogen verstrickte sich der Mond. Man muß von hier nach Gimborn laufen. Die Gegend scheint zunächst ein einziger Park, ein endloser Mischwaldbestand. Im Norden mögen die Buchen und im Schwarzwald die Tannen mächtiger sein als die Einzelbäume hier; das, was der Gegend hier ihr Gepräge verleiht, sind die Waldwiesen und die Bergtäler mit ihren heimlichen Waldränder, aus denen das großäugige Wild zutraulich mißtraulich den Jäger anschaut. Wenn man die Wege geht nach diesem Gimborn oder auch nach Berghausen, so ist es immer wieder neu, und schöner, als man es sich gedacht hat.

Strategische Gründe haben den mittelalterlichen Herrn von Neuenberg veranlaßt, seine Burg hoch in die Krone der Landschaft zu setzen, – was wir heute davon noch gewinnen , das ist ein herrlicher Blick über Land. Ueber fast unabsehbare Teppiche weichen Waldes gleitet der Blick, über rote Aecker und opalenes Wiesenland. Auf und Nieder eines nährenden, kräftigen Waldgebiets, in der Sonne von gebleichtem koniserengrün, saft bestaubt. Man vergißt ringenden Bevölkerung angehören, und möchte über dem Jubel die wirtschaftlichen Einsichten vergessen. Oh herrliche, begnadete und einsame Landschaft um Frielingsdorf, wo noch die Rehe durchs Gebüsch brechen und die Hütejungen vor der Zwergenhöhle Furcht verspüren!