Dr. Leimbrock wird verlangt (1954)
Zwischenruf in eine Liebesszene

Nelson in Großaufnahme! Das Gesicht eines Admirals, der zu schön ist für den Verschleiß auf Schlachtschiffen, die sich gegenseitig mit Eisenbrocken in den Grund bohren, es besteht kein Zweifel, dass auch ihn eines Tages das Blei eines korsischen Scharfschützen töten wird. Aber bis dahin ist noch Zeit, und die schöne Lady Hamilton spinnt den Seehelden in ihre Träume ein.
Im Park eines märchenhaft schönen Schlosses in Neapel sinken sie einander in die Arme, indes zum Abschied schon die Riemen aufs Wasser klatschen und das Auge des Helden kühn nach der napoleonischen Flotte tastet.
"Horatio", flüstert Emma mit ihrer verführerischen Stimme, „Horatio, wirst du an mich denken, wenn du deine Feinde vernichtest? Liebst du mich?"
Natürlich liebt er sie. Der Film verlangt es, und außerdem ist es historisch. Die Szene ist unwiderstehlich schön, wie auch der männlich stolze Horatio trotz seiner vielen Orden schön ist, - oder machen ihn gerade die Orden so schön? Ich weiß es nicht. Jedenfalls atmet das Publikum tief vor Rührung...
Aber jetzt geschieht etwas, das nicht zum Film gehört. Es rechnet nicht zum Programm. Es steht zu der Szene, die soeben über die Leinwand flimmert, nur in einem simplen lokalen Zusammenhang.
Während Horatio das Boot besteigt und die Matrosen ihn in sein dunkles Schicksal hinausrudern (er hat vor Malta eine Kleinigkeit zu erledigen), bricht in den Zuschauerraum die nüchterne Stimme des Geschäftsführers ein: „Professor Doktor Leimbrock wird dringend am Telefon verlangt.“
Pause. Die Liebesszene ist vorläufig beendet. Die Matrosen rudern. Das Meer rauscht. Das Schicksal naht. Die Tragik breitet ihre dunklen Schwingen aus.
Jeder Zuschauer weiß, dass Professor Doktor Leimbrock eine Frauenklinik leitet, in der die jungen Mütter unserer Stadt ihrer Kinder entbunden werden. Was ist geschehen?

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Jeder begreift sofort, dass es sich um etwas Außergewöhnliches handeln muss. Der leitende Arzt lässt, wenn er sich den Anblick einer Seeschlacht gönnt, gewiss einen Vertreter bei den jungen Müttern in seiner Klinik.
Und jetzt? Der Professor wird den Ausgang der Seeschlacht nicht miterleben. Ein Menschenleben steht auf dem Spiel. Vielleicht sogar zwei Leben.
Aus der Masse der achthundert Zuschauer, die das Lichtspielhaus füllen erhebt sich ein einzelner dunkler Schatten, schiebt sich an den Knien vorbei und strebt dem Ausgang zu...
Die achthundert Gehirne ahnen, was jetzt am Telefon gesprochen wird: „Ich komme sofort. Bereiten Sie alles vor.“
Operation - das zuckt durch sie hindurch. Das jagt durch ihre Herzen. Das zündet in ihrer Phantasie. Das schwelt in ihrem Unterbewusstsein. Das macht sie schwer atmen. Das rührt an ihre eigenen Erlebnisse... das... das...
Ein Mensch liegt wirklich da und stirbt. Vielleicht haben sie alle miteinander einmal auf einen Arzt gewartet, der ihnen Rettung zutrug. In den Film hinein beten sie: Lass es gut gehen.
Der Admiral setzt die Segel. Der Sturm fällt jaulend in die Takelage. Wie eine Holzwanne tanzt das Schlachtschiff auf den Wellen vor Malta. Am Bugspriet glimmt ein rotes Licht wie ein Stern der Hoffnung über der Finsternis.
Die Operation verlief glücklich. Mutter und Kind wurden gerettet.
Ich habe angerufen.

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