Hufnägel will niemand haben

Vor meinem Vaterhaus standen vier mächtige Linden, deren zweite von links eines Nachts bei einem Gewitter getroffen wurde und einen hohlen Stamm bekam. Gegenüber befand sich eine Hufschmiede, und der Meister musste andern Tags dem Baum eiserne Bänder anlegen; denn es wäre schade gewesen um die alte Linde. Aber in dem hohlen Stamm nisteten sich Käuz­chen ein, und bald war das Dorf mit Käuzchen geradezu verseucht.
Ich höre noch, wie mein Vater und der Hufschmied überlegten, auf welche Weise die Vögel ausgerottet werden könnten. Ihr Geschrei war unerträglich, und außerdem fürchtete man, dass sie den Tod herbeirufen würden. „Ver­dammte Totenvögel", sagte der Schmied, und er war es, der die Idee hatte, eine Leiter an den Baum zu stel­len und die Brut in dem hohlen Stamm mit heißem Wasser zu verbrühen. Als diese Maßnahme ihm nicht zur Ruhe verhalf, füllte er dem Baum Steine in den Leib.
Meister Egbert war, was die Käuz­chen anbetraf, ein unnachgiebiger und grausamer Jäger. Er wollte seinen Schlaf haben, das eindringliche „Kummit, kummit" der Totenvögel er­schreckte ihn zutiefst. Meister Egbert hing sehr am Leben. Er aß gerne, er redete viel, und er trank unmäßig. Aber das kam daher, dass ihm die Ar­beit Durst machte, die Höllenglut der Esse, der scharfe Geruch des glühen­ den Eisens, die Schwaden des ver­brannten Horns, der Umgang mit Bau­ern und Ackergäulen. Es gab weit und breit keine Werkstatt, die soviel Lärm hervorbrachte wie die Hufschmiede.
Um vier Uhr fingen der Meister und seine Gesellen an, Hufeisen, Nägel, Achsen, Reifen und Wagenbeschläge zu schmieden. Durch die Häuser in der Nachbarschaft flackerte der Wider­schein der Esse. In den Morgenschlaf der Dorfbewohner hinein läutete das Pink­pink der Hämmer, die in rhyth­mischer Folge auf den Amboss trafen.
In jedermanns Erwachen tropfte klirrendes Eisen und zischte heißer Dampf, wieherte ein Pferd und brüllte der Meister. Das Pflaster dröhnte vom ungebärdigen Huf der Gäule, die be­schlagen werden sollten, und das eichene Gestühl der Boxen erklang wie dumpfe Trommel.
Heute kommt mir dies alles wie Musik vor, und ich glaube, dass es eine großartige Sache war, einer Huf­schmiede gegenüber zu wohnen. Aufregend wurde es, wenn die Bau­ern, die eine eigene Jagd besaßen, Schwarzwild mitbrachten und vom Schmied die Borsten mit glühenden Stangen absengen ließen. Das geschah auf der Straße, und das ganze Dorf war tagelang von einem merkwürdigen Geruch erfüllt, der die Geheimnisse der Wälder enthielt und doch nur die Schwarte einer Wildsau war. Das Tier wurde aufgebrochen, zer­legt und verkauft, wozu Meister Egbert
Anregungen preisgab: „In Essig ein­legen", sagte er, „oder in süße Sahne. Das Fleisch muss rot bleiben. Gebt Pilze hinzu, fetten Speck und zerdrückte Wacholderbeeren." Der Meister ver­stand etwas vom Essen, wie es im Dorf überhaupt auf Essen und Trinken an­kam, und nicht auf Musik und Bücher und derlei. Es war die harte Welt von Leuten, die bei Petroleumlicht zur Welt gekommen waren und das Einmaleins auf Schiefer gekratzt hatten.
Was aus der Hufschmiede geworden ist? Meister Egbert war achtundneun­zig, als er starb. An jenem Tage gab es schon fast keine Gäule mehr im Dorf. Er wurde nicht von Pferden zum Friedhof gezogen, sondern von einem Leichenauto, das sich der Sohn eines seiner Gesellen angeschafft hatte. Die Schmiede hat sich längst in eine Schlos­serei verwandelt, die Zugmaschinen repariert und Mopeds mit Treibstoff versorgt.
Ich habe nichts dagegen. Es ist Fort­schritt, was sich da ereignet. Der Wohl­stand breitet sich aus. Auch fangen die Schlosser erst um acht Uhr an, den Autos die Reifen vollzupumpen. Gott­lob, sage ich. Nur das Pink­pink und das flackernde Geleucht der Esse und das Hufegeklirr und den Geruch nach verschmorter Wildsau das gibt es alles nicht mehr. Es macht mich traurig ­ aber was bedeutet es schon, wo wir jetzt doch Glühlampen und Autos und Fernsehen haben.